Interview

Mike, erinnerst Du dich noch, wie Du zum ersten Mal davon gehört hast, dass es eine Krankheit gibt die Aids heißt?

Ja, das hatte Mitte der 80er Jahre schnell die Runde gemacht. Befasst habe ich mich damit weniger. Weil ich damals in einer Beziehung war, hat es mich nicht groß interessiert. Ein paar Jahre später habe ich ein, zwei Leute gekannt, die infiziert waren. Einer ist bald darauf gestorben. Richtig einschneidend war dann erst der Tod eines guten Freundes 2005. Mit ihm habe ich bis zum Schluss viel Zeit verbracht. Und da hatte ich ein jämmerliches Erlebnis: Alle Familienmitglieder außer der Mutter und der Schwester haben sich so benommen, dass ich mir einen Kommentar nicht verkneifen konnte. Seine Sachen haben sie nur mit Handschuhen angefasst  - unglaublich, wie wenig aufgeklärt man nach 20 Jahren immer noch sein kann.

 

Wann hast Du erfahren, dass Du positiv bist?

Vor acht Jahren. Ich war aus Spanien zurückgekommen, weil es mir gesundheitlich schlecht ging und ich stark abgenommen hatte. Im Krankenhaus wurde ein Problem mit der Speiseröhre diagnostiziert, das schnell behandelt war. Bei einem Routinetest ist dann die HIV-Infektion festgestllt worden.

 

Wie hast Du dich infiziert?

Ich hatte nach Mallorca auswandern wollen, um nach dem Ende einer siebenjährigen Beziehung Abstand zu gewinnen. Dort habe ich schnell einen Mann getroffen, der mich umgarnt hat. Das war super. Ein oder zwei Wochen später haben wir zusammen eine Nacht verbracht. Morgens lag nur ein Kondom neben dem Bett, obwohl ich weiß, dass wir mehrmals miteinander geschlafen hatten. Aber darüber habe ich mir zunächst keine Gedanken gemacht.

 

Nach der Diagnose aber wahrscheinlich umso mehr?

Man guckt sich im Spiegel an und fragt sich: Wo finde ich jetzt ein Haus, von dem ich springen kann? Aber mir war schnell klar, dass ich leben wollte. Als erstes habe ich es fast 25 Leuten erzählt. Meine Familie hat zu mir gehalten. Aber es gab ein paar Freunde, zum Glück nur ein paar, die ganz deutlich gesagt haben: ,,Wir wollen nichts mehr mit dir zu tun haben." Um es positiv zu formulieren: Um die Erfahrung bin ich reicher.

 

Wie geht es Dir heute?

Ganz gut. Ich merke, dass ich körperlich ein bisschen schneller schlapp und außer Puste bin. Ich bräuchte mehr Ruhe, die ich mir aber selbst oft nicht gönne. An die Medikamente habe ich mich gewöhnt. Das ist so, wie wenn man eine Brille aufsetzen muss, um lesen zu können. Aber ich muss immer aufpassen. Wenn ich mich erkälte, dauert das nicht vier üder fünf Tage, sondern zwei Wochen. Wenn ich zu süß, zu scharf oder zu säurehaltig esse, bekomme ich Durchfall.

 

Du gehst sehr offen mit Deiner Krankheit um.

Es wird zu wenig über Aids gesprochen, das Thema wird verschwiegen oder verharmlost. Natürlich gibt es die Medikamente, die einem erlauben, so alt zu werden wie ohne Infektion. Man kann das Virus ganz gut in Schach halten. Aber es gibt kein Mittel gegen Aids. Man darf nie aus dem Kopf bekommen: Die Krankheit ist unheilbar. Und es gibt viele Menschen, denen es schlechter geht als mir. Das körperliche Befinden ist ja auch nur der eine Teil. Ich hatte seit dem positiven Befund keine Beziehung mehr. Immer, wenn sich etwas hätte anbahnen können, sind die Männer fortgelaufen, sobald ich es erzählt habe.

 

Im Fall der Sängerin Nadja Benaissa ist doch in der Öffentlichkeit sehr viel über Aids gesprochen worden?

Eigentlich nicht. Es ist fast durchweg sensationslüstern berichtet worden. Es ging immer um die Frage: Ist sie schuldig oder nicht?

 

Ist das eine interessante Frage?

Schwierig. Wer weiß, dass er infiziert ist und gezielt mit jemandem Sex ohne Kondom hat, handelt vorsätzlich und sollte bestraft werden. Aber grundsätzlich ist jeder in der Pflicht, sich zu schützen. Das kann man nicht oft genug wiederholen.

 

Vielen Dank für das interessante Interview!